Letzten Sonntag wurde Lando Norris der 56. Sieger eines "nassen" Grands Prix - Doch einige Rivalen - darunter auch Max Verstappen - hatten damit Schwierigkeiten ...
Jede Generation von Rennfahrern hat ihr überragendes Talent. Es heißt, dass sich der Unterschied zwischen diesem außergewöhnlichen Fahrer und seinen Konkurrenten selten deutlicher zeigt als unter nassen oder wechselhaften Bedingungen.
Es ist schwer, gegen die meisten Namen auf der Liste jener, die in von Regen beeinflussten Grands Prix gesiegt haben, zu argumentieren. Doch die Realität ist komplex.
Selbst die größten Talente einer Generation hatten Tage, an denen sie nicht sprichwörtlich "über allen anderen" standen. So etwa letzten Sonntag in Australien, als Max Verstappen - normalerweise in einer eigenen Liga im Regen - einer von mehreren Topfahrern war, die strauchelten. Noch nie wirkte er so zufrieden mit Platz zwei.
Grundsätzlich ist es eine Frage der Physik: Wie viel Reifenprofil hat Kontakt mit der Straße, und welchen Grip hat der Reifen auf der Oberfläche zu einem bestimmten Zeitpunkt?
Dank moderner Datenanalyse und des Einheitsreifenformats in der Formel 1 sind die Variablen bei trockenen Bedingungen meist linear. Die Fahrer wissen durch das Training, wie viel Grip es in einer bestimmten Kurve auf einem bestimmten Reifen gibt und wie sich dieser durch Reifenverschleiß und abnehmende Benzinlast verändert. Unerwartete Gefahren wie Öl oder Kies werden ihnen von der Boxenmauer mitgeteilt.
Nasses Wetter bringt jedoch zusätzliche Variablen ins Spiel, da die Strecke nie in einem gleichbleibenden Zustand ist - sie wird nasser oder trockener. Das eröffnet Chancen für Fahrer mit mehr Selbstvertrauen oder größerer Risikobereitschaft.
Im Nassen ist der absolute Grip schwerer zu bestimmen als im Trockenen, und der Grip an einem bestimmten Punkt der Strecke verändert sich von Runde zu Runde. Ein höherer Anpressdruck kann helfen, aber bei wechselnden Bedingungen kann der Nachteil die Vorteile überwiegen, sobald die Strecke abtrocknet.
Doch es gibt eine Grenze: den Punkt, an dem die Geschwindigkeit die Fähigkeit der Reifen übersteigt, mechanische Haftung auszuüben und/oder Wasser zu verdrängen.
Die aktuellen Pirelli-Regenreifen können 85 Liter Wasser pro Sekunde verdrängen - über diese Grenze hinaus schwimmen sie auf der Wasseroberfläche, statt auf der Strecke zu haften, und der Fahrer könnte genauso gut in einem Boot sitzen.
Bis 1966 war Aquaplaning in der Formel 1 weniger problematisch, da die Autos auf schmaleren Reifen fuhren, die weniger dazu neigten, auf stehendem Wasser zu gleiten, anstatt es zu durchschneiden. Breitere Reifen nach 1966 erhöhten die Herausforderung im Regen eher, als dass sie sie verringerten.
Man könnte meinen, dass das "Gefühl" der besten Fahrer die Antwort auf dieses Problem liefert - ein Problem, das selbst modernste Datenwissenschaft nicht spontan lösen kann.
Doch das tut es nicht, denn Pirellis Vollregenreifen kommen selbst an verregneten Wochenenden kaum zum Einsatz. Wenn es stark genug regnet, dass die wasserabweisenden Eigenschaften dieser Mischung - doppelt so stark wie die der Intermediates - erforderlich sind, entsteht eine massive Gischtwolke, die die Sicht gefährlich einschränkt. Das führt unweigerlich zu einer Safety-Car-Phase oder Rennunterbrechung.
Früher, bevor Laptops und Telemetrie Einzug hielten, wurde ein Rennen nahezu immer gestartet, egal bei welchem Wetter. Beim Nürburgring-Rennen 1968 regnete es das ganze Wochenende konstant. Dazu kam Nebel. Die Sicht lag bei etwa 180 Metern.
Den Fahrern gefiel das nicht, also setzten die Veranstalter am Sonntagmorgen kurzerhand eine zusätzliche Trainingseinheit an - und starteten das Rennen auch ohne Besserung.
Jackie Stewart ließ sich nur auf diese Trainingseinheit ein, weil Teamchef Ken Tyrrell ihn davon überzeugte, dass es besser sei, die Wasserstellen vorher zu kennen, anstatt sie im Rennen zum ersten Mal zu erleben. Von Startplatz drei übernahm er sofort die Führung, um aus der Gischt der vor ihm Fahrenden herauszukommen.
Er gewann mit über vier Minuten Vorsprung, hauptsächlich, weil er die "Farce" so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte. "Totaler Wahnsinn", beschrieb er es später.
Die heutige Formel 1 ist zum Glück sicherheitsbewusster, aber sie kämpft weiterhin mit den Herausforderungen von Regenrennen. In der Liste der skurrilsten Grands Prix steht Spa 2021 - ein "Rennen" über drei Runden hinter dem Safety-Car und einer dreistündigen Wartezeit zwischen Runde eins und zwei - weit oben.
Zwei Jahre später brachte das launische Ardennen-Klima erneut Ärger. Das Sprint-Rennen begann hinter dem Safety-Car, und alle Fahrer mussten auf Regenreifen starten. Die einzigen, die nicht sofort auf Intermediates wechselten, waren diejenigen, die einen Doppelstopp mit ihrem Teamkollegen vermeiden wollten.
Pirelli hat einen "Super-Intermediate"-Reifen vorgeschlagen, der näher an den "Full-Wets" sind, um solche Szenen zu verhindern. Doch bisher ist nichts daraus geworden, unter anderem wegen der Schwierigkeiten, ihn unter gleichen Bedingungen zu testen. Die meisten Tests fanden auf künstlich bewässerten Strecken statt.
Die von der FIA vorgeschlagenen "Spritzschutzvorrichtungen" waren eine gute Idee, aber Tests zeigten, dass sie kaum Wirkung hatten. Ein Großteil der Gischt wird nicht durch die Reifen erzeugt, sondern durch die Unterboden-Aerodynamik der Autos.
Während ein Rennen bei voller Nässe also praktisch ausgeschlossen ist, bleiben wechselhafte Bedingungen wie in Melbourne ebenfalls eine Herausforderung - insbesondere wegen der Einschränkungen der Intermediate-Reifen.
Sobald sich eine trockene Linie bildet, verschleißen sie schnell, es sei denn, die Fahrer tauchen sie bewusst in verbliebene Wasserlachen abseits der Ideallinie. Doch das verzögert nur das Unvermeidliche. Das Ergebnis: ein weitgehend prozessionsartiges Rennen. Wer die Ideallinie verlässt, geht ein zu großes Risiko ein.
Den richtigen Moment für den Wechsel auf Slicks - oder zurück auf Intermediates - zu finden, ist eine Mischung aus Glück und Urteilsvermögen. Als Norris, Russell und Albon am Ende von Runde 44 in Melbourne auf Intermediates wechselten, schien das verfrüht, da Sektor eins und zwei noch relativ trocken waren.
Doch das Wetter spielte ihnen in die Karten, als es im Rest der Strecke stärker zu regnen begann. Im Nachhinein sehen solche Wetten oft wie geniale Entscheidungen aus.
Und was ist mit dem Mythos des Supertalents, das sowohl seine Maschine als auch die Gesetze der Physik überwindet? Man könnte sagen, dass moderne Formel-1-Fahrer im Schatten von Ayrton Sennas legendärer Fahrt beim Europa-Grand-Prix 1993 stehen. Damals stürmte er in Donington bereits in der ersten Runde von Platz fünf auf eins vor und distanzierte Alain Prost am Ende um eine ganze Runde.
Für einige ist es Blasphemie, das zu schreiben, aber Donington 1993 war eine Demonstration von Fahrkunst - unterstützt durch ausgefeilte Traktionskontrolle und ein gut ausbalanciertes Auto. Senna nutzte seine Werkzeuge perfekt, während Prost ratlos wirkte.
Portugal 1985, wo 26 Autos starteten und nur neun als klassifiziert gewertet wurden, lieferte ein noch überzeugenderes Argument dafür, dass Talent der entscheidende Faktor für einen dominanten Regen-Sieg unter Fahrern mit ähnlichem Material ist.
Die Top 8 fuhren alle auf Goodyear-Reifen, und Senna beendete das Rennen eine Runde vor seinem Teamkollegen Elio de Angelis. Wir kehren also zu dem Punkt zurück, dass Fahrer mit mehr Selbstvertrauen oder größerer Risikobereitschaft belohnt werden.
Dennoch können selbst Champions sich mal vertun - besonders auf Straßenkursen, wo zahlreiche weiße Markierungslinien lauern. Der nasse Monaco-Grand-Prix 1984 war eines dieser berühmten "Was-wäre-wenn"-Rennen, als Rennleiter Jacky Ickx das Rennen frühzeitig abbrach, während Senna dabei war, Prost einzuholen.
Zuvor war Nigel Mansell in Führung liegend ins Aus gerutscht, nachdem er ein Rad auf einer der weißen Linien auf dem Weg aus Ste Devote gesetzt hatte.
Lotus-Teamchef Peter Warr ließ sich dazu hinreißen zu sagen: "Nigel Mansell wird niemals einen Grand Prix gewinnen, solange ich ein Loch im Hintern habe." Er lag falsch. Und mangelte es Mansell an Selbstvertrauen, Mut oder Risikobereitschaft? Sicher nicht.
Im Regen gibt es keine absoluten Wahrheiten. Tage wie der von Michael Schumacher in Barcelona 1996, Fangioam Nürburgring 1957 oder Lewis Hamilton in Silverstone 2008 stechen heraus, weil sie selbst unter den Besten der Besten außergewöhnlich sind.
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